Frank Sarodnick
Frank

Ich bin vor 20 Jahren von Berlin an den Niederrhein gezogen und teile mit dir meine Faszination für diese wundervolle Region.

Rees älteste Stadt am unteren Niederrhein - Blick auf die Rheinpromenade

Manchmal sind es die kleineren Städte, die einem die größten Überraschungen bereiten.

Rees am Niederrhein ist so ein Ort – unscheinbar auf der Landkarte, aber voller Geschichten, die Jahrhunderte überdauert haben.

Reeser Sackendrääger


Mehr als nur eine Rheinstadt

Wer Rees zum ersten Mal besucht, merkt schnell: Hier ist etwas anders.

Die Stadt liegt zwar direkt am Rhein wie viele andere auch, aber sie strahlt eine Ruhe aus, die man heute selten findet.

Zwischen modernen Wohnhäusern und gepflegten Grünflächen ragen plötzlich mittelalterliche Mauern auf, und man fragt sich: Wie viel Geschichte mag hier wohl verborgen sein?

Die Antwort lautet: mehr als man denkt.

Denn Rees trägt einen Titel, den viele nicht kennen – die Stadt ist die älteste Stadt  am unteren Niederrhein und war einst sogar Mitglied der Hanse.


Stadtrechte seit 1228

Als der Kölner Erzbischof Heinrich von Müllenark am 14. Juli 1228 der kleinen Siedlung mit ihren 150 Gebäuden und 600 Bewohnern die Stadtrechte verlieh, ahnte wohl niemand, dass hier der Grundstein für eine bemerkenswerte Handelsmetropole gelegt wurde.

Bereits 1142 hatte das "Reeser Privileg" der Stadt Zollfreiheit mit anderen wichtigen Handelsorten gewährt – ein Zeichen dafür, dass hier schon lange vor der offiziellen Hanse reger Handel getrieben wurde.

Die strategische Lage am Rhein machte Rees zu einem natürlichen Knotenpunkt für den Warenverkehr zwischen den Niederlanden und dem deutschen Hinterland. Kaufleute aus ganz Europa kamen hierher, um ihre Geschäfte abzuwickeln.


Festungsstadt mit System

Wer heute durch Rees spaziert, kann noch immer die Reste der imposanten Stadtbefestigung bewundern.

Das Rondell am Rheinufer mit seinen dicken Mauern und Schießscharten erzählt von einer Zeit, in der Reichtum verteidigt werden musste.

Die Befestigungsanlagen gehörten einst zu den bedeutendsten am Niederrhein – kein Wunder bei einer so wohlhabenden Handelsstadt.

Besonders beeindruckend ist der Mühlenturm aus dem Jahr 1470.

Rees Mühlenturm

Der Mühlenturm in Rees

Mühlenturm in Rees mit Schautafel

vorbildlich: Schautafel am Mühlenturm

Hier zeigt sich die pragmatische Denkweise der Reeser: Warum sollte ein Turm nur der Verteidigung dienen, wenn er gleichzeitig als Mühle und Aussichtspunkt genutzt werden kann?

Diese Mehrfachnutzung war durchaus innovativ für die damalige Zeit.


Zwischen Rhein und Himmel

Die Beziehung zum Rhein prägt Rees bis heute.

Der Fluss bringt Leben, aber auch Herausforderungen mit sich. Das moderne Flutmulden-Projekt zeigt, wie Ingenieure des 21. Jahrhunderts mit den Launen des Wassers umgehen. Die Mulde funktioniert als natürlicher Überlauf und kann bis zu 18 Prozent der Wassermenge des Hauptstroms aufnehmen – ein Beispiel dafür, wie Technik und Natur zusammenarbeiten können.

Gleichzeitig hat sich rund um Rees eine Auenlandschaft erhalten, die Heimat für seltene Vogelarten ist.

Das Naturschutzgebiet Reeser Altrhein zeigt, wie wichtig der Erhalt natürlicher Lebensräume ist – hier überwintern jährlich 200.000 arktische Gänse.


Sakrale Architektur als Zeitspiegel

Die Kirchen von Rees erzählen von den religiösen Umbrüchen der Vergangenheit. St. Mariä Himmelfahrt mit ihrer leuchtend gelben klassizistischen Fassade steht für die katholische Tradition, die bis ins Jahr 1040 zurückreicht.

Die korinthischen Säulen und das charakteristische Giebeldreieck machen sie zu einem architektonischen Juwel.

Kirche in Rees

St. Mariä Himmelfahrt

Ganz anders die evangelische Kirche am Markt: 1623/24 erbaut, musste sie sich buchstäblich verstecken.

Als erste evangelische Kirche am rechten Niederrhein durfte sie nicht an der Straße stehen, sondern war von Wohnhäusern umgeben.

Diese bauliche Besonderheit spiegelt die konfessionellen Spannungen der Zeit wider.


Arbeiterleben am Strom

Nicht nur Kaufleute prägten das Stadtbild. Die "Rääße Sackendrääger" – die Reeser Sackträger – verkörperten das harte Arbeiterleben am Rhein.

Diese Männer trugen Säcke von über 100 Kilogramm Gewicht über wackelige Holzplanken zu den Lagerhäusern. Ihr niedriger sozialer Status und die harten Arbeitsbedingungen kontrastierten stark mit dem Reichtum der Kaufleute.

Reeser Sackendrääger

Reeser Sackendrääger

Gesicht des Reeser Sackendrääger

Gesicht des Reeser Sackendrääger


Die Industrialisierung brachte auch nach Rees neue Entwicklungen.

1838 gründete August Kersten die erste Tabakfabrik der Stadt – der Beginn einer Ära, in der Rees zu einem der bedeutendsten Standorte der europäischen Tabak- und Pfeifenindustrie wurde.


Moderne Würdigung der Vergangenheit

Bemerkenswert ist, wie Rees heute mit seinem historischen Erbe umgeht. Überall in der Stadt finden sich gut gestaltete Informationstafeln, die komplexe historische Zusammenhänge verständlich erklären.

Der Mühlenturm beherbergt seit 2010 ein Horizontobservatorium – eine gelungene Verbindung von alter Bausubstanz und moderner Nutzung.

Andere Städte am Niederrhein:

Grefrath
Wassenberg


Ein Besuch lohnt sich

Rees ist keine Stadt für den schnellen Durchgang.

Nimm dir Zeit und entdecke an jeder Ecke neue Details: mittelalterliche Mauersteine, die Geschichten erzählen könnten, moderne Hochwasserschutzanlagen, die zeigen, wie man heute mit der Natur umgeht, oder Kirchen, die von jahrhundertelangen religiösen Konflikten zeugen.

Die Stadt beweist, dass Geschichte nicht verstaubt sein muss.

Sie kann Teil unseres lebendigen Alltags werden, wenn man bereit ist, genauer hinzuschauen. Rees am Niederrhein – eine kleine Stadt mit großer Vergangenheit und einer überraschend modernen Art, diese zu bewahren.


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